„Hast du mal auf die Uhr geschaut?“, steht Melli plötzlich mit aufgerissenen Augen in der Tür, während ich verzweifelt einen Locher im Wohnzimmer meiner Mom suche. „Jetzt brauchen wir dann wohl auch nicht mehr ins Bett“, höre ich es nur noch feixend wieder aus dem Flur. Es ist kurz nach 2 Uhr. Nachts.
Um viertel vor 7 wird mein Dad vor der Tür stehen, um uns zum Willi Bahnhof zu fahren – gegen halb 8 geht der ICE zum Frankfurter Flughafen. Vor gefühlten 10 Minuten erst sind doch alle gegangen, die noch auf ein letztes Abschiedsbierchen da waren! Also, dann jetzt mal Unterlagen fertigmachen und endlich die Rucksäcke packen. T minus fünf Stunden bis Abfahrt, T minus 9 Stunden 45 Minuten bis Abflug.
Es klingelt. Mein Dad kommt quickfidel (unfassbar, hat er denn mal auf die Uhr geguckt?) die Treppe hochgestapft und lacht sich kaputt als er mich nur mit einem Handtuch umgebunden in der Wohnungstür stehen sieht. Es ist halb 7, Gott sei Dank noch viiiieeeeel Zeit! Schnell noch den Suppentopf abgewaschen (Suppe morgens um halb 6 sollte nicht unterschätzt werden!), versucht mal so richtig schnell zu duschen (das geht ja tatsächlich!), nochmal die Backpacks gewogen, wirklich alles dabei? Egal. Dafür ist jetzt eh keine Zeit mehr. Und schon sitzen wir im Auto auf dem Weg zum Bahnhof. T minus fünf Stunden 30 Minuten bis Abflug.
Ob wir es denn mittlerweile glauben können, fragen uns meine Schwester und mein Dad das gefühlte zehnte Mal als wir am Bahnhof stehen. So verständlich die Frage, so unverständlich das nicht eintreten wollende Gefühl. Es fühlt sich an als würden wir für eine Woche nach Mallorca in den Sommerurlaub fliegen. Nur dass die letzten Wochen deutlich stressiger waren. Erst als wir unten am Bahnsteig stehen, ist er wieder da, dieser Kloß im Hals, den wir schon beim Abschied meiner Mom und beim Abschied von Melli’s Mom hatten. Doch glücklicherweise wenig Zeit dafür: Überpünktlich nochmal die letzte große Umarmungsrunde und schon stehen wir im Zug und winken ein letztes Mal als sich die Türen schließen und wir gemächlich aus dem Bahnhof rollen. Die nächsten eineinhalb Stunden sind wir damit beschäftigt irgendeinen Mist zu quatschen und uns gegenseitig ständig anzustoßen, weil wieder einem von uns die Augen zugefallen sind. T minus drei Stunden 15 Minuten bis Abflug.
Fluchend wie ein Rohrspatz schleppt Melli ihren Backpack durch die Vorhalle vom Frankfurter Flughafen. Damit wir dies nicht mehr am Schalter erledigen müssen, haben wir bereits die Luggage Cover um unserer Rucksäcke gemacht. Keine besonders kluge Idee! Damit lassen sich die Rucksäcke nämlich ganz besonders gut über längere Strecken hinweg tragen. Als die sichtlich nervöse Schalterangestellte („Sie haben KEIN Weiter- oder Rückflugticket aus Thailand heraus? Das ist aber nicht gut. Ich muss mal schauen, ob Sie dann überhaupt fliegen dürfen.“) dann aber unsere Backpacks eingecheckt hatte und uns neugierig eine Frage nach der nächsten stellte („Wirklich One-Way? Und keine Wohnung mehr?“), war die Laune wieder zurück. Zumindest bis Melli eine knappe halbe Stunde später damit anfing, einen o2 Hotline Mitarbeiter nach dem nächsten durch die Mangel zu drehen – während wir in der Sicherheitskontrolle stehen, beschimpft Melli aufgewühlt ihre telefonischen Gesprächspartner als inkompetent, ahnungslos und mit vielen weiteren (Un-)Fähigkeiten, die wir hier besser weglassen. Nach über einer halben Stunde am Telefon mit Leuten, die teilweise kaum der deutschen Sprache mächtig, völlig ahnungslos, lediglich geschult in ihrem Antwortenkatalog nach einem vorgegebenen Lösungsweg zu suchen und aufgrund ihrer eigenen Hilflosigkeit schlussendlich auch noch unfreundlich, bisweilen sogar unverschämt werden, ist klar: Bevor wir unseren Flieger verpassen, lieber auflegen und o2 ein „Auf Nimmer Wiederhören“ wünschen. Schnell noch eine menschenunwürdige „Raucherzelle“ suchen, um sich im Glaskasten von allen Nichtrauchern begaffen zu lassen, währenddessen man hinter der Schaufensterscheibe nicht mal eine Zigarette anstecken müsste, um seine Sucht zu befriedigen – drei Mal tief Luftholen und man hat vermutlich den Nikotingehalt einer halben Schachtel inhaliert. Aber im Vergleich zur später angebotenen „Smoker’s Lounge“ am Helsinki Airport ein wahrer Genuss. T minus 35 Minuten bis Abflug.
Irgendwie eine merkwürdige, ungewohnte aber wirklich spannende Sprache dieses Finnisch! In 11.000 Meter Höhe werden wir scheinbar für Finnen gehalten – jedenfalls werde ich ständig auf Finnisch angesprochen, während Melli wie üblich direkt nach dem Take-off ins Koma gefallen ist. Der Flug ist unspektakulär ruhig und entspannt.
In Helsinki angekommen wird, auch das wie immer, erst einmal die sanitäre Infrastruktur von Melli inspiziert. Großes Kompliment an die Finnen: Supermoderner Flughafen, sehr sauber, hell und gut beschildert, kostenfreies WLAN und ausgesprochen freundliche und tatsächlich hilfsbereite Mitarbeiter – ungewohnt, wenn man aus der Servicewüste Deutschland anreist. Bevor es zum Snääääggen geht, trotzdem nochmal die bereits erwähnte Raucher „Lounge“ aufsuchen. Dagegen war die kleine Telefonzelle am Flughafen Frankfurt eine Five-Star-Superior-Wohlfühloase. In einem Raum von ca. 3x4 Meter Ausmaß stehen und sitzen ca. 30 Leute, keine Lüftung, überquellende Aschenbecher im Format eines Ölfasses und dazu eine Traube von Asiaten, die den mehrfachen Versuch unternehmen zwei Zigaretten innerhalb einer Minute zu rauchen. Nach trotzigen drei Zügen brennen meine Augen derart, dass ich fluchtartig den Raum verlasse.
Mit einem Sandwich bewaffnet lassen wir uns an der Zollkontrolle von lustigen Ganzkörperscannern mit elektronischer Passkontrolle durchchecken und schon sitzen wir im Bus auf dem Weg zum großen Flieger, der unser Zuhause für die nächsten knapp neun Stunden werden soll. Große Überraschung: Mit Meilen zu fliegen kann ungeahnte Vorteile haben. Bei riesiger Beinfreiheit lassen wir uns gemütlich in die großen Sessel der Eco Comfort Class nieder. Auf geht’s nach Bangkok!
„Bangkok Ortszeit ist momentan 06:30 Uhr, die Temperatur am Boden beträgt 28 Grad. Wir haben etwas Zeit gut gemacht und kommen voraussichtlich ca. 20 Minuten früher als geplant an. Der Kapitän hat die Anschnallzeichen eingeschaltet, wir bitten Sie daher sich auf Ihrem Platz einzufinden, die Anschnallgurte zu schließen und die Rücklehnen gerade zu stellen. Während des Landeanflugs ist es nicht gestattet die Toiletten zu benutzen. Vielen Dank“, tönt es zuerst auf Englisch, dann auf Finnisch und schließlich noch auf Thai durch die Lautsprecher. Gut so, langsam hat mein Hintern nämlich wirklich keine Ausdauer mehr noch den fünften Film zu schauen.
Nach einer sanften Landung stehen wir knapp eine Stunde an der Passkontrolle bis wir endlich unsere Visa in der Hand halten. Bevor wir mit dem Airport Rail Link in die Innenstadt zu unserem Hostel fahren, verlassen wir für ein paar Minuten das auf ca. 15 Grad heruntergekühlte Flughafengebäude. Der Temperaturunterschied und die Luftfeuchtigkeit von mindestens 1000 Prozent sind ein Schlag ins Gesicht! Es hatte wohl einige Zeit zuvor geregnet.
Mit dem Airport Rail Link und Skytrain fahren wir sehr unkompliziert mit zwei Mal umsteigen zu unserem Hostel. Unterwegs müssen wir bei jedem Umsteigen die Backpacks aufmachen und den Inhalt vorzeigen – die Sicherheitsvorkehrungen an den öffentlichen Verkehrsmitteln und Malls sind (anscheinend aufgrund der Bombenanschläge an einem Hinduschrein vor ca. zwei Wochen) deutlich verschärft worden.
Noch während wir oben an der Haltestelle „National Stadium“ des Skytrain stehen, werden wir von den freudig winkenden Mitarbeitern vom Lub d Bangkok am Siam Square, unser Hostel für die nächsten Tage, begrüßt. Happy endlich angekommen zu sein, kämpfen wir uns vorbei an unaufdringlichen Bettlern und Straßenverkäufern, sehr aufdringlichen Tuk Tuk-Fahrern und setzen uns auf die Terrasse an der vielbefahrenen Straße.
Unbeschreiblich wie laut und vielseitig hier alles ist! Neben gut gekleideten Touristen und Einheimischen liegen bettelarme, um ein paar Baht flehende Kinder, überall stehen kleine fahrbare Stände mit gegrillten Fleischspießen, frischem Obst und eisgekühlten Shakes aber auch Jogginghosen, Handtaschen und Handyequipment. Dazwischen steht alles voll mit Taxis, Tuk Tuks und Rollerfahrern, die jeden, der auch nur minimal westliches Aussehen hat, versuchen mit „Where do you go, my friend?" in ein Gespräch zu verwickeln. Die Hitze und Luftfeuchtigkeit sind, solang ab und an ein leichter Wind geht, gut auszuhalten, aber an die Wucht der auf einen einprasselnden Eindrücke und unterschiedlichen Gerüche muss man sich erst etwas gewöhnen.
Wir freuen uns auf spannende Tage in der „vor Energie strotzenden Megastadt Bangkok“ (Zitat Spiegel)!
Lust auf mehr? Hier findest Du Bilder von unserer Abreise.
Für Entdecker: Lub d - Siam Square, Tipps rund um den öffentl. Nahverkehr in Bangkok (mit Übersichtskarte)
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